Musikalisches Intermezzo – Chor und Orchesterwoche Hinterschmiding 2019

Juni 2019
Meine zweite Chorwoche in dem Jahr. Die Chor- und Orchesterwoche findet immer in der ersten Woche in den Pfingstferien statt. Hinterschmiding ist ein winziges Dorf im Nirgendwo, versteckt im tiefsten Niederbayern. Kaum zu glauben das diese bereits seit 51 Jahren regelmäßig dort stattfindet.

Ursprünglich von einem Chorpapst initiert, und viele Jahre von dem gleichen Wiener Professor begleitet, der in Krems die ICAK leitet. Seit einigen Jahren wird sie von wechselnden jungen und hoffnungsvollen Chorleitern künstlerisch ausgestaltet, bevor die sich auf ihren weiteren Karriereweg machen. Da sind einige bekannte Namen dabei, wenn man sich das rückblickend so ansieht. Ich nehme seit acht Jahren daran teil, zähle noch zu den einstelligen, bin also ein Neuling.

Parallel zum Einstudieren der Chorwerke gibt es Klassen für Streicher, Bläser und Holzblasinstrumente. Viele junge angehende Musiker aus den Musikhochschulen sammeln so erste Erfahrungen im Klangkörper. In diesem Jahr war ein ganz besonders junges Talent dabei, die junge Oboistin war 12 Jahre alt. Der Vater ist Solist bei den Wiener Symphonikern. Sie konnte sich trotz ihres Alters musikalisch sehr gut in der Gruppe behaupten.

Es gibt gewaltige Niveauunterschiede, aber es werden trotzdem alle mitgenommen und unterstützt. Das heißt, die nicht so virtuosen müssen nicht alle Noten aus dem Werk spielen können.

Am Ende begleiten die Musiker den Chor beim Abschlußkonzert.

In diesem Jahr wurde von Robert Schumann die „Missa Sacra“ einstudiert. Hat man unter uns Sängern je von diesem Werk gehört? Bei Nachfrage der Referentin habe ich zwei erhobene Hände zählen können. Ein anderer Teilnehmer hat behauptet er hätte fünf gesehen.
Wie auch immer, der Rest der achtzig SängerInnen kannte das Stück nicht. Die Referentin hielt es für eine gute Idee den kompletten Klavierauszug in der ersten Plenumprobe prima vista durch zusingen. Wir kamen tatsächlich irgendwann beim Ende an. Die Frage nach dem „wie“ stellt man aber besser nicht. Der gesamte Chor war anschließend angemessen verängstigt. Wie sollte man so etwas kantiges, unvertrautes in einer Woche bewältigen können? Waghalsige Sprünge in den einzelnen Stimmen, rasante Tempiwechsel, ungewöhnliche Textverteilung und unerwartete Wechsel in andere Tonarten.

Die bezaubernde Referentin, im übrigen die Schwester des überaus gutgelaunten Korrepetitor von der letztjährigen ICAK, begründet ihre Auswahl mit: „Wir alle liiiieben doch Herausforderungen!“

Es gibt neben dem Plenum noch zwei Studiochöre. Einen für die Oberstimmen und einen gemischten Chor.

Mittags und abends findet Volkstanzen statt. Fand ich in den ersten Jahren überflüssig und habe etwas abfällig das Angebot nicht beachtet. In einem Jahr dann am Abschlussabend versucht die Francaise mitzutanzen. Ich habe wie ein Atomstörfall mein gesamtes Umfeld durcheinander gebracht. Es war superlustig und ich musste sehr viel lachen. Trotzdem wollte ich im Jahr drauf den Tanz weniger stören und habe öfters mitgeübt. Im Jahr drauf blieb ich immer abends nach dem Plenum da, um mitzutanzen, im übernächsten auch Mittags. Da wird dann schöne und seltene Musik aus bspw. Serbien, Ungarn, Israel oder Albanien vorgestellt. Schon mal von Gargausien gehört? Auch da tanzen Menschen schöne Rundtänze zu sehnsuchtsvoller und melancholischer Musik.
Ich tue mich immer noch noch nicht ganz so leicht mit den Schrittfolgen, merke aber das ich von Jahr zu Jahr besser werde.

Einen sehr schönen gesundheitlichen Effekt habe ich in diesem Jahr bemerken können: meine Frozen Shoulder wurde bei den Tänzen ein wenig aus der eingefrorenen Position heraus mobilisiert und ist nun viel beweglicher geworden.

Es ist überhaupt so toll, es gibt viele Teilnehmer, die entweder auf der Icak oder beim Laudate Dominum in St. Pölten dabei sind. Wenn man einmal erlebt hat wie schön und inspirierend es auf so einer Woche sein kann, möchte man immer wieder daran teilhaben. Und deshalb „verschwenden“ viele Wiederholungstäter ihren Urlaub und zahlen Geld für die Teilnahme an einer Chorwoche. Und man freut sich bekannte Gesichter wieder zu sehen, erfährt Entwicklungen und Veränderungen im Leben der Teilnehmer, alle sind entspannt und gut gelaunt.

Nicht nur Sänger und Musiker sind dabei. Auch einen Kinderchor gibt es. Sie führen meist ein musikalisches Theaterstück auf. Dieser Chor wächst von Jahr zu Jahr, was bedeutet das die singenden Eltern ihre Kinder gut versorgt wissen können. Und sie sich selbst ungehemmt im Chor ausleben können.

Der Ort Hinterschmiding ist quasi ablenkungsfrei, um die Worte eines geschätzten und überzeugten Wiederholungstäters zu zitieren.

Man geht zum Singen, zum Tanzen oder in die zwei Gasthäuser zum Essen. Es gibt einen Supermarkt, ein Cafe und einen kleinen See in der Nähe. In meinem ersten Jahr habe ich mich ein wenig beim Spazierengehen verlaufen und bin eher zufällig dort gelandet. Einige der Bläser standen im Wasser und haben dort vor sich hin gespielt. Das war ein ganz besonderer und magischer Moment.
Das Blech ist in dieser Woche sowieso immer der Stimmungsmacher. Sie veranstalten witzige Flashmobs. Sie vertragen, das muss man schon anerkennen, am besten von allen, den Alkohol. Und gehen immer als letzte ins Bett. Sie sehen zwar von Tag zu Tag etwas blasser aus. Dennoch haben die Jungen ein sehr starkes Pflichtbewusstsein. Egal, wie wenig sie geschlafen haben, in der Früh erscheinen sie pünktlich zur Orchesterprobe.

In diesem Jahr hat es einen enormen Zusammenhalt nicht nur unter den Sängern gegeben. Auch die Musiker waren durch das ungewöhnliche Werk genauso beeindruckt wie wir. Wir wussten die andern fühlen sich genauso unsicher. So sind wir eng zusammen gerückt, in der Hoffnung die Aufführung ohne Abbruch und Neuanfang anständig aufzuführen.

Im Alt hat es im Credo eine Sequenz gegeben, gar nicht schwer eigentlich und mit wenig Bewegung. Dieses „et unam, sanctam, catholicam ...“. Dort hat es den Alt jedes mal geschmissen. Wir sind immer in einer anderen Tonart raus gekommen, als in der wir gestartet haben. Niemand konnte so recht verstehen weshalb. Alleine geübt ging es, im Kontext haben uns die anderen Stimmen rausgebracht.
Wir waren in diesem Jahr häufig in der unkomfortablen Situation in den anderen Stimmen aushelfen zu müssen. Der Tenor musste bei seinen Einsätzen verstärkt werden, der Alt 1 sollte den Sopran 2 verstärken. Somit musste ständig auf Einsätze geachtet werden und der Registerwechsel bewältigt werden. Na gut, Langweile kam auf die Art keine auf und der Tenor hat zugegebenermaßen ja immer sehr schöne Melodien.

20190609 125038Ich hatte diesmal die Hefte von Burgmüller und Diabelli zum Üben dabei. An drei Tagen konnte ich den Schlüssel für die Schule organisieren um in der Mittagspause im Probensaal ein wenig zu üben.
Es war schon ein komisches Gefühl in dieser riesigen Halle zu sein, ganz alleine in der Schule und das wirklich sehr laute Klavier anzuspielen. Habe ich anfangs fast gar nicht ausgehalten und ich musste mich sehr dazu überwinden.

Am nächsten Tag, als ich schon etwas mutiger war, kam eine vom Orgateam und wollte im Büro der Schule noch was erledigen. Eine Zuhörerin! Da sind mir trotz der Hitze vor Schreck die Hände fast eingefroren. Beinahe hätte ich meine Sachen gepackt und wäre abgehauen. Aber ich habe mich gezwungen die Situation auszuhalten.

Am dritten Tag war ich schon fast daran gewohnt das eine andere Organisatorin ins Büro marschiert ist. Konnte fast ungerührt weiter üben. Im Plenum teilte mir anschließend eine Mitsängerin fröhlich mit, das sie mich auf dem Weg vom Mittagessen aus dem Gasthaus in ihre Ferienwohnung sehr gut üben hören hat können. WAS??? „Ja, schon viele Meter vorher und den halben Weg runter auch noch“.

Das haben meine Nerven dann wieder doch nicht ausgehalten und ich habe für den Rest der Woche das üben bleiben lassen.

Stelle so für mich fest, mit einem Vorspiel wird es so schnell eher nix werden.

Insgesamt war es eine sehr innige Zeit. Das Werk zwar anstrengend, aber die vielen Mitsänger sehr zugewandt und freundlich. Das Wetter war angenehm, die Verpflegung naja. Aber wir kommen ja wegen dem Singen zusammen. Essen wird dort eher nicht überbewertet.

Von allen drei Chorwochen an denen ich teilnehme, ist Hinterschmiding sicherlich die entspannteste und persönlichste Woche.